Organisationsentwicklung und Prozessberatung
Die um Ganzheitlichkeit in der Organisationsberatung bemühten Ansätze sind für den Laien schwer auseinander zuhalten:
- Expertenberatung
Prozessberatung
Systemische Beratung
sind übliche Begrifflichkeiten, die Unternehmensberater heute im Munde führen. Die Rolle des Beraters / Trainers / Coachs bei Change Management- und Organisationsentwicklungs-Prozessen in Unternehmen unterscheidet sich dabei erheblich. Die Schlüsselfragen zur Rolle des Beraters und zum Beratungsverständnis lauten nach Edgar H. Schein1):
- "...wie erreicht der Berater die Bereitschaft, sich auf Lern- und Veränderungsprozesse einzulassen?
- Wie wird der Berater Lehrer, Trainer, Mentor oder Coach bei Lern- und Veränderungsprozessen?
- Wie arbeitet der Berater mit den Schlüsselfiguren einer Organisation, um mit ihnen ein organisationsweites Programm zu planen, und/oder als Berater, falls Ängste und Bedenken bei diesen Schlüsselfiguren den Erfolg der gemeinsamen Anstrengungen zu gefährden drohen?"
Hier nun eine kurze Aufschlüsselung der verschiedenen Beratungsansätze:
Fach- oder Expertenberatung
In der Expertenberatung tritt der Berater als Fachexperte für das zu bearbeitende Problem auf und liefert die inhaltliche Lösung dafür. Die Umsetzung hat der Kunde meist selbst zu leisten.
Prozessberatung
wird gegen die Gutachter-, Fach- oder Expertenberatung unterschieden.
Prozessberatung versteht sich als Ansatz, bei der die Fachkompetenz zur Lösung von Problemen weitgehend in der Organisation vorhanden ist.
Allerdings gibt es Blockaden, die in der Historie, unaufgelösten Interessenkonflikten, unzureichender Integration widersprüchlicher Anforderungen und dem Mangel an Methoden zur Transformation in einen neuen Zielzustand begründet sein können.
Prozessberatung unterstützt, diese Blockaden zu überwinden und in der Organisation bei den Beteiligten einen Lernprozess auszulösen nach dem Motto "Hilfe zur Selbsthilfe". Prozessberatung nutzt dazu eine Vielfalt von Methoden und erfordert eine Beraterhaltung, die v.a. auf den Prozess der Beziehung zwischen Berater und Klienten und sekundär an Inhalten und Methoden orientiert ist.
Prozessberatung besteht in der Anwendung eines Beratungsansatzes, der durch folgende Prinzipien gekennzeichnet2) ist:
- Partizipation der Betroffenen
- Veränderung als ständiger Prozess der Auseinandersetzung mit und der Anpassung an sich verändernde Umweltbedingungen
- das Management des Veränderungsprozesses als zentrale Aufgabe anstelle der bloßen Veränderung der Organisation
- Doppelzielsetzung: Verbesserung der Ergebnisse UND der Lern- und Entwicklungsfähigkeit der Organisation
- Ziele und Wege müssen einander von den zugrunde liegenden Prinzipien her entsprechen
Bei konkreten Veränderungsprojekten wirken dabei in der Prozessberatung stets die folgenden sieben Basisprozesse3) zusammen:
- Diagnose-Prozesse
- Strategieprozesse
- Psychosoziale Prozesse
- Lernprozesse
- Informationsprozesse
- Umsetzungsprozesse
- Change-Management-Prozesse
Organisationsentwicklung (OE)
versteht sich als ganzheitlichen Ansatz zur Weiterentwicklung von Unternehmen und Bereichen. Gelegentlich wird OE als Beratungsansatz neben Expertenberatung und systemischer Beratung genannt. Einige Vertreter der systemischen Beratung sind dabei, diese zur überlegenen Beratung überhaupt zu stilisieren, die OE dagegen als zahnlose Softform von Beratung mit geringer Ergebniswirkung darzustellen.
Andere sprechen von systemischer OE, weitere sagen, OE sei eine Form der Prozessberatung. Wieder andere Experten sprechen davon, dass die Prozessberatung die OE begründet habe — Widersprüche finden sich sogar in einer durchaus renommierten Fachpublikation innerhalb von 10 Buchseiten.
Hier soll OE als ganzheitlicher Ansatz verstanden werden, die Weiterentwicklung von Organisationen unter Berücksichtigung der Aspekte
- Strategie
- Kultur
- Prozesse
- Struktur
- Systeme
- Resourcen
- Produkte
und deren Vernetzung systematisch zu fördern.
Systemische Beratung
In der Praxis ist ein immer stärkeres Zusammenwachsen der Beratungsansätze zu beobachten. Die künstliche Trennung und der Versuch, den eigenen Ansatz der Beratung als überlegen darzustellen, scheitert dagegen bereits am empirischen Nachweis dieser Überlegenheit.
Außerdem ist heute kaum ein Beratungsprofi mehr vorstellbar, der sich als reiner Fachberater oder reiner Prozessberater deklariert. Die Zeiten sind in der Beratung vorbei (nein, leider noch nicht ganz!), wo sich ein sog. Prozessberater hinstellen konnte mit der Aussage: "Von Ihren Inhalten verstehe ich ja nichts, da kennen Sie sich selbst aus, ich moderiere nur den Prozess."
Es wird von einem Berater heute erwartet, dass er/sie auch inhaltlich so viel vom Geschäft - sei es nun Vertrieb, Produktion, Strategieentwicklung usw. - versteht, dass er inhaltlich kompetenter Sparringspartner für das Management sein kann. Die Beratungsrolle ist da in den letzten Jahren zurecht um vieles anspruchsvoller geworden.
Erfahrene Berater haben schon immer bewusst oder unbewusst einen integralen Ansatz verfolgt Ob es dazu wieder einen beraterischen Modebegriff wie den der Neuwaldegger Gruppe braucht, die nun gleich von "Komplementärberatung" sprechen, kann man hier - und wohl auch als Kunde - getrost dahingestellt sein lassen. Alle Ansätze verfügen über wichtige Merkmale, die Unternehmen bei deren Problembewältigung helfen können — und nur darum geht´s doch, oder?
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1) Schein, Edgar H., Prozessberatung für die Organisation der Zukunft, Köln (2000)
2) angelehnt an: Glasl, F. et al. (2005), Professionelle Prozessberatung, Bern
3) angelehnt an: Glasl a.a.O.