Organisationsentwicklung - ein ganzheitlicher Beratungsansatz
Organisationsentwicklung wird, verstanden als Beratungsansatz, oft auch als Prozessberatung bezeichnet (s. Organisationsentwicklung und Prozessberatung). Allerdings gibt es auch andere Beratungsansätze, z.B. den systemischen Ansatz, die den Merkmalen der Prozessberatung entsprechen. Hier soll Organisationsentwicklung beschrieben werden.
1. Definition Organisationsentwicklung
Organisationsentwicklung (OE oder OD = Organization Development) umfasst die Themen
- Unternehmensentwicklung
- Bereichsentwicklung
- Teamentwicklung
Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Definitionen von Organisationsentwicklung. Hier stellvertretend nur 2 Beispiele zur Definition von Organisationsentwicklung:
- eine klassische Definition von Richard Beckhard (Organization Development: Strategies and Models, 1969):
Organization Development is an effort (1) planned, (2) organization-wide, and (3) managed from the top, to (4) increase organization effectiveness and health through (5) planned interventions in the organizations "processes", using behavioral-science knowledge.
S. 203) orientiert sich an zwei von den Autoren identifizierten Schlüsselaktivitäten
der OE:
- Design von entwicklungsorientierten Interventionen, die Wandel unterstützen
- Orchestrierung großflächiger Kommunikationsinitiativen, die den Menschen helfen zu verstehen, wohin das Unternehmen strebt und wie es dahin kommen will.
Moderne OE Ansätze berücksichtigen das ganzheitliche Zusammenwirken vieler Faktoren, die das Ergebnis einer Organisation beeinflussen. Dagegen gingen frühe Ansätze der Organisationsentwicklung davon aus, wenn es den Menschen in Organisationen nur besser ginge, dann würde auch deren Leistungsbereitschaft steigen.
Auch der Aspekt der Macht spielt heute gegenüber früher eine wichtige Rolle. Macht und Hierarchie als organisationale Realitäten bestimmen – richtig und ethisch verantwortlich genutzt – die Entwicklung einer Organisation nachhaltig.
Allerdings ist Macht im Wissenszeitalter zunehmend eine relative Größe – kein Manager ist wirklich unabhängig von seinen Mitarbeitern (die sog. Knowledge Worker und Knowledge Management verändern Organisationskulturen nachhaltiger als vielfach wahrgenommen) wie auch von den umgebenden Umwelteinflüssen.
Ganzheitlich im Sinne der Organisationsentwicklung bedeutet mindestens diese 7 wesentlichen Organisationsfaktoren bei Veränderungs- und Entwicklungsthemen zu berücksichtigen:
- Ziele / Zielsystem / Strategien
- Selbstverständnis / Kultur / Identität
- Prozesse
- Strukturen
- Mittel / Resourcen (finanzielle / materielle / personelle)
- Produkte / Produktsystem / Leistungen
- Führung / Beziehungen
Gelegentlich werden auch andere Faktoren genannt – zusätzlich oder einzelne der o.g. substituierend. Weitere wichtige Faktoren bei der Betrachtung sind äußere Einflussgrößen wie Markt, Wettbewerber sowie gesellschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen.
2. Organisationsentwicklung und Change Management
Die Abgrenzung zum Change Management liegt darin, dass Change Management einen Ansatz umfassenden und grundlegenden Wandels darstellt, der zu einer grundlegend anderen Art, die Dinge zu tun, führt und eine Mentalitätsveränderung erfordert. Zudem sind solche Prozesse projektgetrieben und zeitkritischer und von hohem Ergebnisdruck gekennzeichnet. Change Management ist fast immer die Folge einer neuen Strategie, die eine grundlegende Neuausrichtung eines Unternehmen oder Bereichs erfordert. Diese Bedeutungsinhalte des Change Management werden durch die inflationäre Verwendung des Begriffs Change Management heute gelegentlich ausgeblendet.
Tendenziell ist der Change Management Ansatz stark vom Management getrieben, auf Strategieumsetzung hin orientiert, eher Top-Down ausgerichtet, partizipative Elemente sind stärker auf die Einbindung von Mitarbeitern bei der Umsetzung gerichtet.
Organisationsentwicklung ist dagegen stärker von der Idee des humanistischen Ideals der Entwicklung des Menschen und seiner Potenziale und der Berücksichtigung individueller und kollektiver Bedürfnisse gekennzeichnet. Im betrieblichen Kontext ist dazu der Ergebnis- und Zielgedanke ein notwendiges Korrektiv. OE-Ansätze sind tendenziell eher Bottom-up ausgerichtet, in ihrer Dimensionierung nicht auf radikalen Wandel sondern eher auf kontinuierliche Entwicklung angelegt. Dies muss die Wirkung keinesfalls schmälern. Gelingt es z.B., im Anschluß an einen Prozess des Change Management einen dauerhaften Prozess der Weiterentwicklung einer Organisation im Sinne der Organisationsentwicklung (oder des KVP - in dem viel vom OE-Gedankengut enthalten ist!) zu etablieren, so kann daraus eine mächtige Erfolgsgeschichte werden.
In der Realität ist keine so klare Trennung zwischen Organisationsentwicklung oder OE, wie sie abgekürzt von Profis genannt wird, und Change Management vorzufinden. Fast alle Change Management-Ansätze sind heute vom Gedankengut der Organisationsentwicklung durchdrungen, so gerade auch im Bemühen, eine möglichst frühe und umfassende Einbindung der Mitarbeiter im Changeprozess zu gewährleisten oder auch Top-down und Bottom-up-Ansätze des Wandels beim Vorgehen zu integrieren.
Organisationsentwicklung ist dabei wohl der umfassendere Begriff, unter dem man Change Management subsumieren könnte. Change Management wäre dann ein spezifischer Ansatz der Organisationsentwicklung bei dem es darum geht, eine Organisation im Interesse von deren Zukunftsfähigkeit schnell und umfassend an neue Anforderungen anzupassen. Dazu gilt es die erforderlichen konzeptionellen Voraussetzungen zu schaffen und im Interesse der Akzeptanzförderung umfassende Kommunikationsprozesse und eine sukzesssive Steigerung der Einbindung der Mitarbeiter bei der Umsetzung des Zielkonzepts sicherzustellen.
Im Prozess der zielgerichteten Entwicklung einer Organisation sind verschiedene Phasen prägend und verdienen jeweils besondere Aufmerksamkeit. Hier sei das einfache Grundmodell Lewins erwähnt, auf das nach wie vor vielfach Bezug genommen wird.
3. Phasen der Organisationsentwicklung
Lewin unterscheidet bei Veränderungen von Organisationen die 3 Phasen auftauen - verändern - einfrieren. Zunächst müssen die Organisation und die dort tätigen Menschen auf die Veränderung vorbereitet werden, muss die Bereitschaft dazu gefördert werden. Dann gilt es, die Veränderung vorzunehmen und umzusetzen. Anschließend muss der neu erreichte Zustand gehalten werden und für Stabilität gesorgt werden, da sonst die Gefahr des Zurückkippens besteht und die Früchte des Erfolgs nicht geerntet werden können.
In heutigen Organisationen ist die schnelle Folge von Veränderungen daher gelegentlich ein Problem - die nächste Veränderung folgt, noch ehe die vorige richtig verdaut ist und ihren Ertrag abwerfen kann, vielfach bestehen auch mehrere Veränderungsprojekte gleichzeitig. Dies erfordert ein hohes Augenmerk auf die Gestaltung des Steuerungsprozesses zu legen und wo möglich Integrationschancen zu identifizieren.
Das Konzept Lewin´s kann als Basis vieler später entwickelter Changeansätze bezeichnet werden - wie die acht Schritte der Veränderung nach Kotter oder auch das ADKAR Modell. Dies sind integralere Konzepte des Change Management, die jedoch gedanklich auf Lewin´s Modell zurückgeführt werden können, wenngleich dieses in seiner schablonenhaften Einfachheit heute nicht mehr hinreichend ist.
4. Organisationsentwicklung im Kontext
Mit dem Erstarken des systemischen Ansatzes ging die Bedeutung der Organisationsentwicklung im deutschsprachigen Raum zurück. Dabei wird allerdings übersehen, dass viele systemische Grundlagen u.a. auf Erkenntnisse der OE zurückgreifen. Teilweise gibt es Versuche der Integration, die inhaltlich durchaus naheliegt – begrifflich heißt das dann "Systemische Organisationsentwicklung" und klingt für manche Ohren eher seltsam.
Im englischsprachigen Raum, insbesondere in den USA, ist die OE Tradition viel lebendiger – der systemische Ansatz spielt dagegen dort eine geringere Rolle. Mit OE / OD sind Namen verbunden wie u.a. Kurt Lewin, Ed Nevis, Edgar Schein, Marvin Weisbord oder Harrison Owen.
Es gibt keinen in sich geschlossenen Ansatz der OE. Vielfalt ist vielmehr kennzeichnend aber auch durchaus dem gedanklichen Konzept immanent. Verschiedene Schulen und Ausgangspunkte haben die Vordenker der OE geprägt. Der entwicklungsorientierten Tradition gemäß gibt es keine engen Begrenzungen, was denn nun OE genau ist – und was nicht mehr OE-like sei.
Die verkrampften Abgrenzungsversuche mancher Vertreter der systemischen Schule – vor allem hinsichtlich der Frage, was denn nun der bessere Beratungsansatz sei, der systemische oder der OE-Ansatz (u.a. in einem Buch der Neuwaldegger Gruppe) – muss man nicht so schrecklich ernst nehmen. Der integrative Anspruch "ganzheitlich" wird von beiden Fraktionen gerne benutzt - und letztlich zählt, was dem Unternehmen effektiv und effizient weiterhilft.
Link zum Organization Development Network: http://www.odnetwork.org