27.09.2013 - Neues Buch zur Personalentwicklung - systemische Beratung und Co. entzaubert?
Schwarzbuch Personalentwicklung - tatsächlich so düster?
In einem sehr lesenswerten Buch "Schwarzbuch Personalentwicklung - Spinner in Nadelstreifen" (Stuttgart 2013) zerlegt der Autor Viktor Lau die vorgebliche theoretisch / wissenschaftliche Substanz vieler in der Praxis der Personalentwicklung zur Anwendung kommenden Konzepte und stellt die Legitimation für deren betriebliche Nutzung infrage.
So wirft er der Personalentwicklung vor, sie sei in Unternehmen zum Haupteinfallstor für Managementesoterik geworden, wozu er auch die weit verbreitete Systemische Beratung zählt.
Das Buch ist dringend zu empfehlen für Novizen der Personalentwicklung (... den Titel in manchen Fällen vielleicht besser nicht dem Chef / der Chefin zeigen 😄) sowie informationsbedürftige Betriebsräte, Personalleiter und Geschäftfsührer, die endlich besser verstehen wollen, was ihre Personalentwicklung da so alles treibt.
Eine wie ich meine längst überfällige Problematisierung dessen, was mit viel Wichtigtuerei und selbstinszenierendem Marketing den Markt überschwemmt — teilweise geprägt durch Gurus ("Ich bin der Guru — Sie sind die Novizen, die Lernenden" deklamierte keineswegs selbstironisch vor Jahren eine der systemischen Vorzeigefiguren, Gründer eines in der Szene bekannten Ausbildungsinstituts im Raum Heidelberg) und zu viele Mitläufer.
Nun hat ja z.B. Claßen vor geraumer Zeit das Dilemma der systemischen Beratung schon dargestellt und in einer Kapitelüberschrift benannt: "Wertschätzung ohne Wertschöpfung"1). Lau macht aber das pseudowissenschaftliche Bedeutungsgehabe vieler Systemiker wie auch weiterer heute in der zeitgenössischen Personalentwicklung angewandter Konzepte umfassend sichtbar und hinterfragt akribisch wesentliche Grundannahmen.
Man muss nach der Lektüre und bei aller Kritik der systemischen Beratung sicher nicht allem abschwören, was sich u.a. unter der Bezeichnung systemisch alles methodisch als Praxistheorie ausgefaltet hat in den letzten rund 20 Jahren. Aber es ist geboten, einmal darüber nachzudenken, was das alles bedeutet und wie man sich angesichts betrieblicher Herausforderungen und im Bewußtsein eigener Verantwortung als Personalentwickler oder HR-Manager dazu stellt. Denn sonst tun das möglicherweise andere - mit Konsequenzen2).
Ein "Schwarzbuch" zeigt natürlich auf, was alles nicht in Ordnung ist. Und zwar ausschließlich. Lassen wir uns davon nicht dazu verleiten, nun an der Personalentwicklung überhaupt und in allen Unternehmen zu zweifeln. Dafür gibt es zu viele gut und hoch professionell agierende PersonalentwicklerInnen, die im Unternehmen Akzeptanz haben und mit herausragenden Konzepten Wirkung erzielen - manche trotz einer Affinität zum einen oder anderen im Buch "angeschwärzten" Ansatz.
Es gilt jedoch, gefährlichen, unsinnigen und wirkungslosen Methoden Einhalt zu gebieten. Das bedeutet Esoterik und fragwürdige Psychomethoden zu erkennen und konsequent aus Unternehmen herauszuhalten - genauso wie scientologisches Gedankengut, denn da gibt es m.E. eine Menge Übereinstimmungen. Dafür liefert Lau für jene, die es wissen wollen, stichhaltige Belege.
Ganz wichtig für einen wirklich entwicklungsorientierten, auf Reflektion von Erfahrung, Feedback und selbstverantwortlichem Lernen zielenden Ansatz der Personalentwicklung, der auf dem Grundsatz von wertschätzendem Respekt für die Einzigartigkeit jeden Individuums wie auf Autonomie und Selbstbestimmung der reifen Persönlichkeit beruht: Im Buch werden die in vielen aktuellen Ansätzen verdeckt enthaltenen autoritären und implizit entwertenden Grundlagen deutlich.
So stellt der Autor unangenehme und berechtigte Fragen zur Legitimation vieler heute wie selbstverständlich zum Einsatz kommenden Konzepte und Techniken (Systemisches, Transaktionsanalyse, NLP, Esoterik, Humankapitalbewertung, Organisationsaufstellungen, ...) wie auch einiger weit verbreiteter Verfahren zur Persönlichkeitsdiagnostik wie MBTI, DISG, Insights, die er als fragwürdig in Fundierung und Einsatz im Unternehmen darstellt.
Auch wenn der Autor manchmal etwas weit geht in seiner Forderung nach wissenschaftlicher Substanz bei Instrumenten, die als Persönlichkeits-Inventar Selbst-Reflektion unterstützen sollen und eben kein Test im klassischen Sinne sind: Etwas mehr Vorsicht und Verantwortungsübernahme in der Traktierung von Mitarbeitern und Kollegen mit fragwürdigen Techniken, Ritualen und deren Protagonisten ist allemal eine Überlegung wert.
Das Buch von Lau ist ein Schwarzbuch. Es mag einem damit gehen, wie mit schwarzem Humor: Eine Prise ist gut, zu viel verdirbt die Laune. Aber es lohnt die Lektüre und die Überprüfung der eigenen Annahmen, insofern ist es aufklärerisch und ein Buch gegen den Zeitgeist der gelegentlich abgehobenen, irregeleiteten und verdeckt autoritären PE — daher um so notwendiger!