31.05.2016 -
Mittelstandsorientierung manchmal nur Alibi
Der Mittelstand ist schnell, pragmatisch, flexibel, kunden- und ergebnisorientiert, so einige der typischen Glaubenssätze zur Stärke des Mittelstands. Die kann man durchaus unterschreiben und noch durch den Aspekt der besonderen Verbundenheit im Unternehmen ergänzen.
Manchmal wird allerdings Mittelstandsorientierung zum bloßen Schlagwort. Dann nämlich, wenn die Zugehörigkeit zum Mittelstand ("... wir sind schließlich hier Mittelstand ...") als Alibi benutzt wird, um nicht genauer hinzusehen und sich notwendigen Veränderungen zu entziehen.
Diese demaklatorisch-identitäre Zugehörigkeit zum Mittelstand wird dann auch bei durchaus erfolgreichen Unternehmen gefährlich, wenn sie benutzt wird, um konzeptionelle und strategische Schwäche oder gravierende strukturelle Defizite zu übertünchen.
"Wir sind hier Mittelstand" wird nämlich gelegentlich benutzt, um
- eine systematische Markt-, Kunden-, Wettbewerbs- oder Stakeholderanalyse zu umgehen ("...das wissen wir doch alles, wir sind doch kein Konzern!" war die Botschaft eines Inhabers und seiner 3 Geschäftsführer — nur MITEINANDER darüber gesprochen hatten sie noch nie, das wurden dann Diskussionen voller Überraschungen)
- eine strategische Festlegung und dezidierte Positionierung zu vermeiden
- konzeptionellen bzw. grundsätzlichen Lösungen auszuweichen
- weiter nach Bauchgefühl zu entscheiden und zu handeln statt systematisch geplant und abgestimmt
- Fehler zu vertuschen
- die Erfahrung eigener Kompetenzgrenzen zu vermeiden
Die Ursachen sind vielfältig. Im Mittelstand ist das Management oft, v.a. in starken Wachstumsphasen, rein operativ geprägt. Es liegt manchmal wenig Erfahrung mit strukturiertem Vorgehen vor, es gibt methodische Defizite.
Auch sind die Einschätzung und Erfahrung vorherrschend, konzeptionelle Ansätze seien zu kompliziert und dauerten zu lange, man habe bisher noch immer alles hinbekommen, man brauche keine Tools oder Unterstützung.
Auch diese Heldenlyrik erschwert es, sich selbst und das bisherige Handeln infrage zu stellen und grundsätzlich andere Vorgehensweisen in Betracht zu ziehen. Im Grunde ist das eine Lernblockade, Schwächen werden ignoriert oder weggeredet.
Sichtbar wird das Dilemma spätestens, wenn bestimmte Wachstumsschwellen überschritten werden oder das Unternehmen in eine Krise gerät. Dann steigen die Anforderungen manchmal sehr schnell entscheidend an, mit operativem Durchwursteln ist es nicht mehr getan. Nun kann Personal mit der benötigten Expertise gar nicht so schnell gewonnen werden wie erforderlich, andererseits sind die bisherigen Leistungsträger nicht ohne weiteres ersetzbar.
Tatsächlich wird dem Management oft erst dann bewusst, welch strategischen Engpassfaktor manche dieser negativ assoziierten Kompetenz- und Verhaltensmerkmale auch im mittelständischen Unternehmen darstellen.
Es ist dann sicher meist noch nicht zu spät, dauert aber seine Zeit, dies nun aufzuholen. Denn die fehlenden Kompetenz- und Erfahrungsfelder können i.d.R. weithin aufgebaut werden, erfordern aber ein systematisches Vorgehen. Dabei geht es v.a. um Lernen aber auch um eine Kulturveränderung.
Dies erfordert einen mittelfristigen und gut moderierten Prozess systematischer Auseinandersetzung mit den Stärken und Schwächen sowie zukünftigen Anforderungen. Heutzutage gilt es dabei in besonderer Weise die sich permanent verändernden Anforderungen des Umfelds zu berücksichtigen — hier kommt die immanente Flexibilität dem Mittelstand durchaus zugute.
Unter Nutzung bewährter Tools sollten v.a. die systematische individuelle und kollektive Reflektion sowie gemeinsames Entscheiden, Handeln und konstruktives Feedback gefördert werden. Und zwar als Lernprozess, der integriert im Geschäftsprozess erfolgt und das alltägliche Managementhandeln begleitet.
Dabei handelt es sich gleichermaßen um einen Prozess der Unternehmensentwicklung, des Change Managements wie auch der Entwicklung von Managern und Experten sowie des Managementteams.