14.06.2011 -
Gedanken zur Komplexität als Managementthema
Mein Auto komplexer als ein Düsenjet?
In vielen Industrien ist das Management der Komplexität eine immer wichtigere Herausforderung. Dies zeigt sich mir in vielen Change Management und Verbesserungs- Projekten. Zudem ist Beherrschung von Komplexität auch ein Faktor der Führung in der Matrixorganisation.
Entsprechend wichtig ist dieser Faktor als Anforderungsdimension an die Managementkompetenz sowohl in der Auswahl wie in der Entwicklung von Führungskräften — leider wird der Aspekt in den meisten Programmen zur Führungskräfteentwicklung zu wenig abgebildet.
Doch wie kann man das Thema greifbarer machen? Auf der Managementebene ist das alles zwar erfahrbar aber doch noch recht abstrakt.
Interessant erscheint mir in diesem Zusammenhang ein Artikel aus der Harvard Business Review1), in dem die Autoren aus der immensen Komplexität heutiger Autos u.a. die Schlussfolgerung ableiten, dass wohl die Dinosaurier der Automobilbranche die Fähigkeiten haben, sich in der Zukunft gegen neue Herausforderer in der Branche zu behaupten. Weil sie einen Erfahrungsvorsprung besitzen, was die Beherrschung der Komplexität und die Integration von Teilen, Prozessen und Systemen sowie Partnern angeht2), den neu hinzutretende Wettbewerber nicht so leicht aufholen.
Es ist wohl wenigen von uns klar, was für ein komplexes System wir heutzutage bewegen, wenn wir ins Auto steigen. Ein interessanter Gedanke ist, dass v.a. wir als Kunden mit unseren beständig steigenden Anforderungen an Komfort, Sicherheit, Umwelt- und Verbrauchsfreundlichkeit und Design die Impulsgeber sind, die die Hersteller im Bemühen um Kundenorientierung dazu bringen, immer komplexere Systeme zu produzieren.
Mit den damit verbundenen Fehlerrisiken, die zu Rückrufaktionen führen — für die ich immerhin etwas mehr Verständnis aufbringe, wenn ich die folgenden Zahlen sehe:
Softwarekomplexität in "lines of code"
100 Millionen | Durchschnittliches Luxus-Auto |
20 Millionen | Navigationssystem der Daimler Benz S-Klasse 2009 |
10 Millionen | Durchschnittliches Auto von Ford 2010 |
6,5 Millionen | Boeing 787 Dreamliner |
5,7 Millionen | US Air Force JSF F-35 Kampfflugzeug |
1,7 Millionen | US Air Force F-22 Raptor Jet |
Quelle: IEEE; Automotive Designline (übernommen aus dem u.g. Artikel)
Für mich eine Überraschung ist das Ergebnis im Vergleich mit der Luftfahrt. Ich bin immer wieder in beiden Industrien in Projekten aktiv, doch das hätte ich nicht vermutet!
Diese Komplexitätsaussage zur Software ist natürlich nur ein Ausschnitt. Und doch: Diese Softwarefunktionen sind eine Aussage über die Komplexität eines Systems, aus der sehr wohl Ableitungen zu darin verborgenen Herausforderungen für das Management zulässig sind.
Seien wir zumindest aber ein wenig beeindruckt von unserem Fahrzeug, wenn wir das nächste Mal den Motor starten.
1) MacDuffie, John Paul, Fujimotot, Takahiro, Why Dinosaurs Will Keep Ruling the Auto Industry, Harvard Business Review June 2010, S. 23 ff.
2) allerdings nennen die Autoren dafür als Voraussetzungen:
- es muss gelingen, die Komplexität zu reduzieren
- es muss gelingen, die verbleibende Komplexität besser zu managen