03.02.2020 -
Führung und Führungsverhalten manchmal nur aus Unwissenheit schlecht — ein Praxisfall aus dem Vertrieb
Vom Irrtum der Vier-Augen-Führung
Führungsverhalten ist oft schlecht aus Unwissenheit. Bossiges Auftreten als Führungskraft ist nicht mehr angebracht (war es das je?). Nur "laufen lassen" ist auch falsch. Doch wie führt man richtig und erzielt durch gute Führung Wirkung? Und kann man das überhaupt alleine in der immer komplexeren und dynamischen Unternehmensrealität?
Führungsteams, die Führungsverantwortung gemeinsam wahrnehmen, sind dafür - jenseits der individuellen Führungsrolle - eine wichtige Antwort.
Um Missverständnissen zu begegnen sei klargestellt, dass Handeln im Führungsteam nicht bedeutet,
- dass die Person an der Spitze nicht mehr uneingeschränkt verantwortlich ist — sie ist es weiterhin,
- dass nur noch entschieden wird, wenn alle einverstanden sind,
- dass die Hierarchie und die Entscheidungsfähigkeit in der Organisation gefährdet sind — die oberste Entscheidungsgewalt liegt immer noch bei der Person an der Spitze.
Was ist dann anders? Nun, zum Beispiel, dass die Führungskraft alle wirklich wichtigen Themen des Geschäfts im Führungsteam besprechen muss. Dass die Meinung aller anzuhören, manchmal auch einzufordern ist, ehe entschieden wird. Dass alle bei Diskussionen zu den übergeordneten Themen einzubinden sind. Dass wichtige Entscheidungen im Konsens aller angestrebt werden sollten.
Nun berufen sich viele Führungskräfte darauf, dass sie so ja führten, dass sie immer auch ihre direkt Unterstellten und Fachpersonal nach deren Meinung fragten, wenn es um wichtige Entscheidungen gehe.
Doch dies ist etwas anderes als die systematische Einbindung bei Analyse und Ausgestaltung einer Lösung im Team.
Führen im direkten Dialog zwischen zwei Personen ist "Vier-Augen-Führung". Dabei spricht der Vorgesetzte zum Thema mit einem betroffenen Mitarbeiter oder sogar mit allen Mitarbeitern, aber eben immer zu zweit.
In dieser Zweiersituation sind in der Regel beide darauf bedacht, das Gespräch harmonisch zu führen, der Mitarbeiter bringt Einwände oft nur vorsichtig und manchmal gar nicht an. Die Kontrolle des Gesprächs liegt beim Vorgesetzten, der ja die Machtrolle innehat und das Gespräch steuert. Der Meinungsaustausch wird auch nicht durch zusätzliche Ideen anderer befruchtet, bei denen aus dem Zuhören heraus neue Impulse zum Thema entstehen.
Wie dieses Prinzip der Führung im Vier-Augenkontakt zur Vorspiegelung einer falschen Realität führen kann, mag ein Praxisfall der Führung in einem Vertrieb demonstrieren:
So führte der Geschäftsführer Vertrieb eines Unternehmens, vom Typ her als dynamisch chaotischer netter Kumpel zu beschreiben, seine Führungskräfte überwiegend im direkten Kontakt unter vier Augen.
Fallweise erfolgte ein Meeting aller, das aber nur dem Austausch von Zahlen, neuen Produktinformationen und dem sozialen Zusammensein diente. Man mochte sich, die heißen Themen des Geschäfts wurden allenfalls angekratzt, gemeinsame Strategieentwicklung war kein Thema.
Obwohl alle irgendwie unzufrieden waren, wollte keiner das Thema ansprechen. Als eine Mitarbeiterbefragung den Unmut hochspülte, waren alle überrascht. Die Kritik führte nun zu einer richtigen Maßnahme: Der Vertriebsleiter sprach mit allen seinen Mitarbeiter einzeln, in diesem Fall ist das richtig.
Einige äußerten sich auch mit kritischen Hinweisen. Der auf Harmonie bedachte Vertriebsleiter verteidigte sich mit Hinweisen, dass er das Geforderte ja auch in der Vergangenheit durchaus getan hätte - eine oft feststellbare Defensiv-Lyrik.
Dann kam, was in so einer Situation fast immer passiert — auch die Kritiker räumten ein, dass es so schlimm nicht sei, wie es die Mitarbeiterbefragung darstelle.
Danach ging man zum Tagesgeschäft über. Erst ein Jahr später, als einer der besten Gebietsleiter kündigte, sprach dieser offen aus, dass in der Crew große verdeckte Unzufriedenheit herrsche, die aber keiner so genau benennen könne. Man habe immer Sorge, gegen unausgesprochene Spielregeln zu verstoßen, wenn man in so einer "guten Laune Mannschaft" schwierige Themen auf den Tisch lege.
Dies führte dann zu einem Workshop aller, der bereits ein Jahr früher, nämlich direkt nach den Einzelgesprächen, angezeigt gewesen wäre. Noch war es allerdings nicht zu spät — und ein wichtiges Ergebnis des Workshops war, dass man gemeinsam in den folgenden Monaten die gesamte Markt- und Kundenbearbeitung auf neue Füße stellte.
Dieser gemeinsame Prozess führte dazu, dass die Managementcrew lernte, offen über alle Aspekte des Geschäfts zu diskutieren und sich auf diesem Wege ganz neu kennenlernte. In der Folge formte man ein Managementteam Vertrieb, das künftig gemeinsam die Verantwortung für die Steuerung der Vertriebs-Organisation trug.