Coaching und Scharlatanerie — zum Interview mit Stefan Kühl in "DIE ZEIT" vom 1.6.06
Coaching Studie von Professor Kühl - das Scharlatanerieproblem
Kritik im Interesse der Deutschen Gesellschaft für Supervision?
Coaching ist durch die sog. Coaching Studie von Professor Kühl derzeit im Gespräch und findet auch Aufmerksamkeit in den Medien. Nun ist der Titel der Coaching Studie "Das Scharlatanerieproblem — Coaching zwischen Qualitätsproblemen und Professionalisierungsbemühungen" ja auch provokant genug. Verfasst von einem Hochschullehrer, dessen Publikationen auch in der Vergangenheit v.a. durch provozierende Titel auffielen.
Es führt zu weit, hier die 90 Thesen der Studie von Kühl zu kommentieren. Hier daher die Konzentration auf Ausführungen von Kühl zu Coaching im Zeit-Interview (in: DIE ZEIT vom 1.6.06).
Doch zunächst noch der Hinweis, dass die sog. Coachingstudie im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Supervision entstand, deren Anliegen es ist, "Coaching als eine Beratungsleistung zu beschreiben, die in enger Verbindung zur Supervision steht" (s. Vorwort zur Coachingstudie).
Damit soll letztlich deren Supervisoren, die überwiegend aus psychosozialen Berufsfeldern und der Psychotherapie stammen, der Zugang zum Coachingmarkt geebnet werden, was ja ein legitimes Interesse ist, das man allerdings nicht in jeder Hinsicht begrüßen muss.
Kühl vermerkt im Interview, dass Coaching als vergleichsweise neue Profession "das Scharlatanerieproblem nur unter großen Schwierigkeiten in den Griff bekommt". Dies mag man nicht völlig ausschließen — allerdings kann man da auch auf das Gesetz des Marktes vertrauen, wonach sich schlechte Leistung i.d.R. nicht lange hält.
Coaching als quasitherapeutische Situation zu interpretieren dürfte dagegen gut die Interessen der Auftraggeber der Studie befriedigen. Aber: Stimmt das denn überhaupt und sollte dies wirklich ein Merkmal von Coaching sein? Und: Was heißt dies denn dann, wenn man Coaching auch als Aufgabe einer Führungskraft gegenüber deren Mitarbeitern verstehen will?
Kühl behauptet, dass Unternehmen mangels geeigneter Qualitätskriterien für Coaching auf sog. Qualitätssurrogate wie graue Haare oder Führungserfahrung der Coaches auswichen. Dies konstatiert er mal eben so - die Aussage steht im Raum, wird auch in der Studie nicht weiter belegt. Aber vielleicht geht´s dem Herrn Professor Kühl ja auch nicht um Wissenschaft, obwohl er sein Konvolut als Studie bezeichnet.
Ansprüche der Unternehmen an Coaching sind anders
Neben Behauptungen zu Coaching, Coaches und der Wirkung von Coaching, denen man teilweise auch zustimmen kann, gibt´s Fragwürdiges: Das Beharren auf Führungserfahrung als Qualitätsmerkmal eines Coaches sei "Ausdruck einer geringen Professionsbildung". Von einem Arzt erwarte man schließlich auch nicht, dass er vorher krank gewesen sei, damit er einen guten Job machen könne.
Um dieser nicht jedermann nachvollziehbaren Logik etwas auf praktische Sprünge zu verhelfen: Freuen wir uns über jeden guten Arzt, der stets gesund war und ist, er muss wirklich nicht selbst mal krank gewesen sein, um heilen zu dürfen — aber:
Es mag ja schon eine Rolle spielen, ob man vor einer Tätigkeit als Arzt mal in einer guten Klinik gearbeitet und dort in der Alltagspraxis auf seinem medizinischen Fachgebiet Erfahrung gesammelt hat oder eben nicht. Und die grauen Haare von Frau oder Herrn Dr. med. mögen bei schwierigeren Erkrankungen schon als ein (nicht das entscheidende) Indiz für im Beruf gereifte Erfahrung gelten. Wenn dann fachlich fundierte Arbeit erfahrbar wird, steigt so gewiß die Sicherheit, sich in kundigen Händen zu befinden.
Offenbar sind die Professionsansprüche an Coaching durch die Praxis in Unternehmen etwas anders definiert, als dies Herr Kühl aus seiner Hochschulperspektive für sinnvoll erachtet.
Coaches mit betrieblicher Erfahrung statt esoterischen Gauklern
Doch ein bisserl Unternehmenspraxis, möglichst auch gewonnen in Führungsrollen, kann einem Coach wahrlich nicht schaden. Es tummeln sich tatsächlich erschreckend viele rein psychologisch vorgeprägte und teils auch im Esoterischen, also im modernen Gauklertum, angesiedelte Coaches in Unternehmen, die sich eher auf Befindlichkeitsakrobatik denn auf Persönlichkeitsbildung im Managementkontext - als wirkungsvolle Beeinflussung von Führungsleistung und Steigerung der Führungskompetenz - verstehen.
Die Auseinandersetzung mit den Thesen von Kühl lohnt daher durchaus. Er trifft mit seinen Beobachtungen einige wunde Punkte rund ums Thema Coaching, so u.a. wenn er feststellt:
- These 20: Coaching sei "in Mode".
- These 26: Systemisch geprägte Coaches stehen im Widerspruch zu den reklamierten Standards ihrer eigenen "Methodenlehre", da Coaching eher ganz unsystemisch auf einem einfachen Kausalitätsprinzip aufsetzt.
- These 27: Der Coaching Boom sei eine Antwort auf die Zunahme der Verbreitung von Instrumentarien der Personaldiagnostik (Anmerkung: die für sich genommen in der Tat eine sehr fragwürdige Entwicklung darstellt).
- These 47: deutliches Überangebot an Coaching ohne entsprechende Nachfrage.
- These 48: Die Ausbildung von Coaches funktioniere nach einem "Kettenbriefsystem". Viele Ausbilder für Coaching existierten überwiegend von der Ausbildung von Coaches und nicht durch eine Tätigkeit als Coach. (Anmerkung: Dieses Phänomen war lange in der Psychotherapieszene wahrnehmbar, wo viele Lehrtherapeuten selbst kaum als Psychotherapeuten sondern fast ausschließlich als Ausbilder tätig waren. Interessant: Viele dieser Ausbildungsinstitute für Psychotherapeuten bieten heute eine Coachingausbildung an - was die einseitige psychologische Ausrichtung vieler Ausbildungsgänge erklärt).
- These 64: Die Personalentwicklung in Organisationen tendiert dazu, als Coaches v.a. Personen mit therapeutischem Hintergrund einzusetzen (Anmerkung: Die insgesamt - auch im Trainingsbereich - verbreitete Psychologisierung der PE mag ursächlich für ihren Bedeutungsverlust sein).
- These 70: Coachinganbieter versuchen sich durch "Siegel" und andere Strategien der Professionalisierung v.a. selbst Vorteile im individuellen Marktzugang zu verschaffen.
- These 73: Was legitimiert die, die als Treiber für Zertifizierung und Auditierung von Coaches auftreten? Woher nehmen sie selbst dafür ihre Legitimation?
- These 84: Personalentwicklung durchbricht die "gläserne Decke" nicht - erreicht weder mit Personaldiagnostik noch mit Coaching das Top Management (Tendenz zutreffend, gilt aber so nicht für alle Personalentwicklungsabteilungen).