31.10.2009 - Zeitgemäße Teamentwicklung: Das "X-Team" — Hochleistung als Team
X-Teams als Ansatz, den heutigen Anforderungen an Teamarbeit in einem dynamischen Umfeld besser zu entsprechen.
Teamarbeit ohne Mystifizierung des Teamgedankens
Teamentwicklung muss heute mehr sein als Kuschelpädagogik
Es ist immer wieder irritierend zu sehen, wie viel Energie in sinnlose Teamentwicklung investiert wird. "Spaß soll das machen, wenn die Leute sich gut verstehen, das wirkt dann auch im Betrieb. Am besten ein Event oder gruppendynamische Aktivitäten — das schweißt die Leute zusammen..."
Das ist leider alles Unsinn. Nicht, dass das alles keinen Spaß macht. Es ändert nur nichts. Danach ist meist alles wie vorher im Team.
Unternehmen sind jedoch in einer vernetzten und von wechselseitigen Abhängigkeiten geprägten Realität umso mehr von Teams abhängig, als Hierarchien abgebaut und Entscheidungsbefugnisse nach unten delegiert wurden.
Da lohnt der Blick auf Teamkonzepte, die den heutigen Anforderungen an Teams - z.B. im komplexen und dynamischen Umfeld einer Matrixorganisation - mehr entsprechen.
Traditionelle Teamentwicklung
Ein Artikel in Organizational Dynamics spricht es an: Zu viel Verlust durch Fokussierung auf die inneren Befindlichkeiten von Teams, begünstigt durch die traditionellen Konzepte der Teamarbeit.
Dort wird innerhalb der Grenzen des Teams über Ziele und Rollen sowie Spielregeln und Kommunikation gesprochen. Doch mit diesem innengerichteten Ansatz isolieren sich Teams, schotten sich gelegentlich als WIR — Team, in dem es gut läuft, von ihrer Umgebung ab.
Nun ist es nicht so, dass die Auseinandersetzung mit Fragen der Kommunikation und Information, dem internen Entscheidungsprozess und Fragen der Führung des Teams nicht auch ihre Berechtigung haben und dazu beitragen, das Klima im Team und seine Binneneffizienz zu steigern.
Es ist unstrittig, dass Mitarbeiter in gut laufenden Teams zufriedener sind. Dies wirkt sich günstig aus auf die Zufriedenheit mit dem eigenen Arbeitsplatz und ist sicher auch ein Merkmal, das positiv auf die Wahrnehmung der Unternehmenskultur wirkt.
Allerdings sagt dieses Wohlbehagen im Team nichts über seine tatsächliche Leistung aus. Es ist vielmehr öfter auch festzustellen, dass solche Teams eine Schutzhaut über sich gezogen haben, die sie unempfindlich macht gegen Anfechtungen von außen. Häufig kommt es auch zu einer unkritischen Überbewertung der eigenen Leistung, was gelegentlich zu massiver Abwehr kritischer Rückmeldungen aus dem Umfeld führt.
Dies führt über kurz oder lang zu Unzufriedenheit von Kunden (internen wie externen), als Folge davon sinkt oft auch allmählich die Zufriedenheit im Team. Der Blick nach draußen fehlt, ist manchmal auch nicht gewünscht. Stark nach innen gerichtete Teams sind in Gefahr, die sich verändernden Rahmenbedingungen um sie herum auszublenden bzw. diese gar nicht mitzubekommen. Traditionelle Teamentwicklung begünstigt so eine nicht mehr zeitgemäße Teamkonfiguration.
Konzept der X-Teams
Das X-Team Modell1) geht davon aus, dass der Erfolg von Teams in einem Umfeld, in dem es auf Innovation, Anpassungsfähigkeit und Umsetzung ankommt, in besonderem Maße davon abhängt, wie Teams mit ihrer externen Umgebung in Kontakt und im Austausch sind.
X-Teams sind durch 3 Hauptmerkmale gekennzeichnet:
- Externe Orientierung
- Flexibilität bei Mitgliedschaft und Führung
- Standard - Workflow aus Exploration, Konzeptentwicklung, Umsetzung
(im Artikel: Exploration - Exploitation — Exportation)
Zu 1) Externe Orientierung
Die konsequente externe Orientierung ist tatsächlich das wichtigste Merkmal von X-Teams. Alle Teammitglieder sind beharrlich bemüht, ihre Außenkontakte aufzubauen und zu pflegen, um dadurch systematisch relevante Information ins Team zu tragen.
Dabei geht es bezogen auf das jeweilige Projekt um
- Scouting: Kontakte zur relevanten Umwelt, um diese besser zu verstehen
- Botschaftertum: Gewinnung von Unterstützung von Schlüsselpersonen
- Koordination: Abstimmung mit anderen Teams, die einen Beitrag leisten können
Es ist eine der Schlüsselaufgaben eines Teamleiters, diese Außenorientierung des Teams von Anfang an zu fördern. Eine wichtige Herausforderung im übrigen für viele bestehende Teams, in denen man sich schon lange nicht mehr mit den externen Anforderungen befasst hat.
Zu 2) Flexibilität bei Mitgliedschaft und Führung
Im Gegensatz zu traditionellen Teams, wo die feste Zugehörigkeit zum Team Teil der Teamidentität ausmacht, werden Teammitglieder - zumindest einzelne - im X-Team nach Bedarf ergänzt oder ausgetauscht bzw. verlassen das Team an einer bestimmten Stelle im Projekt wieder.
Das Gleiche gilt für die Führungsrolle, die im Team bei Bedarf auch wechseln kann. Es gibt zwar formal durchaus auch im X-Team einen Teamleiter. Doch Führung wird als Teamerfordernis gesehen, das auch geteilt werden kann, nicht als Status oder feste Rolle. So können in unterschiedlichen Phasen andere Kernteammitglieder eine Führungsrolle übernehmen.
Diese Führungsrolle ist natürlich nicht formal sondern prozessual und kompetenzbasiert - aber immerhin explizit erfahrbar, also nicht "nur" informell. Und formal gibt es nach wie vor den offiziellen Teamleiter, der jedoch fallweise dann etwas in den Hintergrund tritt.
Zu 3) Standard - Workflow aus Exploration, Konzeptentwicklung, Umsetzung
Das Durchlaufen der 3 Phasen ist kennzeichnend für ein X-Team. Aufgaben und Herausforderungen ändern sich im Verlauf des Prozesses.
- Die Exploration entspricht einer umfassenden und ganzheitlichen Analyse. Das Team versucht zu verstehen und Entwicklungen im relevanten Umfeld zu begreifen.
- Die Konzeptentwicklung verändert sich von der Diskussion mehrerer Möglichkeiten hin zur Definition eines dann verbindlichen konzeptionellen Ansatzes, der konsequent verfolgt wird. Dabei werden die Erkenntnisse der Explorationsphase systematisch verwertet.
- Die Umsetzung besteht darin, die Lösung in die Anwendung zu tragen. Es gilt andere, die Nutzer, für die Ergebnisse zu gewinnen und zu begeistern, um mit der Übergabe der Lösung auch die Hebelwirkung der Projektarbeit zu gewährleisten.
Als Teamleiter X-Teams entwickeln und führen
Die Autoren sehen 6 Stufen für den Teamleiter im Prozess des Team-Managements bzw. der Teamentwicklung:
- Teammitglieder nach ihren Netzwerken auswählen — welchen Mehrwert/Beitrag kann das Netzwerk der Person für das Projekt liefern
- Externer Fokus von Anfang an in aller Konsequenz
- Das Team unterstützen bei Scouting, Botschaftertum, Koordination
- Meilensteine und Deliverables verbindlich definieren für Exploration, Konzeptentwicklung, Umsetzung
- Den internen Prozess entwickeln — psychologische Sicherheit, Reflektion, Knowledge Work (s. Handicaps beim Informationsmanagement: transactive memory system) fördern
- Zusammenarbeit mit dem Top-Management, um Commitment, Resourcen und Unterstützung zu sichern
Fazit:
Von X-Teams wird man wohl v.a. da sprechen, wo es um Teams geht, die sich an großen Herausforderungen beweisen müssen. Das Konzept der X-Teams hat Charme, ist es doch eine Antwort auf aktuell schon vorhandene Anforderungen.
Und seine Elemente, wie u.a. Flexibilität bei Mitgliedschaft und Führung, geben eine Stoßrichtung vor, die in vielen Unternehmen hierzulande bei Mitarbeitern und Führungskräften noch Lernbedarf bedeutet. Da mag man sich mit so viel Flexibilität noch nicht immer anfreunden — sollte sich aber beeilen, denn fluide Organisationen mit sich schnell ändernden Anforderungen an Rollen und Zugehörigkeiten sind die Zukunft.
Der traditionellen Teamentwicklung, manchmal zwischen Schmusekurs, Walldorfpädadgogik und Esoterik angesiedelt, mag zumindest der Hinweis auf die überragende Bedeutung der Hinwendung zum externen Umfeld neue Impulse vermitteln.
1) Ancona, Deborah; Bresman, Henrik; Caldwell, David: The X-Factor: Six Steps to Leading High-Performing X-Teams, in: Organizational Dynamics, Vol. 38, Issue 3, July-September 2009, p. 217-224