24.01.2014 - Shared Service Center (SSC) - Erfolgreich bei Verlagerung von Prozessen
Eine Frage der Führung
Um Arbeitsprozesse kostengünstiger zu gestalten, ist die Verlagerung in Shared Service Center (SSCs) eine gebräuchliche Maßnahme. Dabei werden definierte standardisierte Abläufe eines Unternehmens an einem Ort — z.B. in Osteuropa oder Asien — zusammengefasst und von dafür neu eingestellten Mitarbeitern dieses Unternehmens als Dienstleistung für ihren Mutterkonzern zentral erbracht.
Die Kostenersparnis ergibt sich aus Spezialisierung und Effizienssteigerung auf der einen und den erheblich niedrigeren Lohnkosten am Standort des SSC auf der anderen Seite. So weit, so sinnvoll.
Auch wenn in der Vorbereitung und Implementierung der SSC-Aktivitäten "eigentlich" alles richtig gemacht wurde, bleibt der Erfolg — aus Sicht des Managements — oft hinter den Erwartungen zurück: Es gibt Schnittstellenprobleme in der Zusammenarbeit zwischen SSC und kooperierenden Leistungserbringern in der Zentrale, mittelmäßigen Output vom SSC, schlechte Stimmung im Stammhaus.
Aus Sicht der Mitarbeiter allerdings erfüllen sich die Erwartungen — nämlich, dass "das ja nichts werden konnte". Warum ist das so? Und wie kann man dem vorbeugen?
Situation der "Übriggebliebenen"
Um die Einsparungspotentiale zu heben, mussten Mitarbeiter der Abteilung das Unternehmen oder zumindest das Team verlassen. Standardisierte Tätigkeiten sind verlagert worden.
Die verbleibenden Mitarbeiter
- betrauern den Verlust ihrer Kollegen
- sind verunsichert, was die Sicherheit ihres eigenen Arbeitsplatzes angeht
- sehen sich mit Änderungen ihrer Arbeitsgewohnheiten konfrontiert: Routinetätigkeiten haben zugunsten "harter Nüsse" abgenommen, und damit auch die Möglichkeit für leichtere Erfolgserlebnisse
- sind — zumindest teilweise — verantwortlich dafür, die neuen Kollegen im SSC zu schulen, sind also diejenigen, die "Schuld" am Arbeitsplatzverlust des Kollegen sind
Die Situation der Verbleibenden ist nicht in jedem Fall gleich, und die entsprechenden Gemütszustände sind nicht immer bewusst oder rational oder werden explizit kommuniziert. Eine Verlockung bleibt bestehen: Das Projekt der Verlagerung scheitern zu lassen (wenn auch nicht unbedingt mit Vorsatz).
Als Vorteile davon erscheinen aus Sicht der Mitarbeiter
- Sicherung des eigenen Arbeitsplatzes vor der Bedrohung weiterer Verlagerungen
- "Rächen" der freigesetzten Kollegen, indem dem Management eine Fehlentscheidung nachgewiesen wurde.
Wie kann der Manager, der einen Teil der Arbeitspakete seines Bereichs zu verlagern plant, damit umgehen? Wie kann er den Erfolg des Projekts sicherstellen?
Erfolgreiche Verlagerung ins SSC: Weichen stellen
Zuerst einmal kann sich der betroffene Manager mit der Entscheidung, einen Teil seiner Mitarbeiter vor Ort abzubauen und an einem anderen Ort (dem SSC) neue einzustellen, ebenfalls schwer tun. Womöglich hat er die Entscheidung nicht selbst getroffen und ist "lediglich" für die erfolgreiche Umsetzung verantwortlich.
Wie auch immer: Scheitern ist keine Option!
Was gern übersehen wird: Dass es sich beim Vollzug einer Verlagerung um einen veritablen Change Management Prozess handelt, der Aufmerksamkeit ind Einflussnahme in vielfältiger Weise erfordert. Folgende Punkte haben sich als äußerst hilfreich für den Erfolg der Verlagerung erwiesen:
- Ehrlichkeit: Sich die eigenen Ambivalenzen einzugestehen, ist ein notwendiger erster Schritt, um die eigenen Kräfte im Hinblick auf die anstehende Aufgabe freisetzen zu können.
- Persönliche Einstellung: Der Prozess liegt weiterhin komplett in meiner Verantwortung! Diese Sichtweise integriert die verbliebenen und die verlagerten Teile der Aufgaben sowie deren Schnittstellen und motiviert, nach den besten Lösungen für den Prozess (und damit für das Unternehmen) zu suchen, anstatt nur den "eigenen Teil" vor Ort zu optimieren. Wenn möglich, sollten wenigstens in der Aufbauphase die Reporting Lines diese Verantwortlichkeit reflektieren.
- Kommunikation den Mitarbeitern gegenüber: Eine klare Linie in der Kommunikation erleichtert es den Mitarbeitern, sich auf die neue Situation einzustellen:
- Die Entscheidung wurde aus ökonomischen Gründen getroffen und ist betriebswirtschaftlich sinnvoll.
- Sie hat nichts mit der Leistung des Teams oder einzelner Kollegen zu tun.
- Um das Projekt zum Erfolg zu führen, ist die aktive Mitarbeit des Teams — vor allem, aber nicht nur — derjenigen, die Schulungsmaßnahmen durchführen, unverzichtbar.
- Die Entscheidung ist unumkehrbar — die gemeinsame Aufgabe muss bewältigt werden.
- Erfolg ist nur gemeinsam erreichbar — das Team im SSC kann nicht ohne das Team im Haupthaus erfolgreich sein und auch nicht andersherum. Also: in Zukunft gibt es keinen Erfolg mehr ohne das Team im SSC!
Dabei sollte nicht vergessen werden, dass den "alten" Mitarbeitern viel zugemutet wird (s.o.)! Eine klare und authentische Kommunikation den Mitarbeitern gegenüber ist zwar notwendig, aber keineswegs hinreichend.
Folgende Maßnahmen im Prozess der Umsetzung führen dazu, dass der Gedanke "ein Team — gemeinsamer Erfolg" glaubwürdig und seine Implementierung wahrscheinlich wird:
- Persönliche Kontakte ermöglichen: Um die neuen Kollegen als Teil des Teams ansehen zu können, sollten sie sich kennen. Besuche im Haupthaus zur Schulung und zu gemeinsamen Aktivitäten (Abendessen etc.) sind sinnvoll. Auch Gegenbesuche der relevanten Mitarbeiter im SSC, die neben weiteren Schulungen und Besprechungen Gelegenheit zu sozialen Aktivitäten bieten, sind hilfreich: Sie ermöglichen einen Einblick in die Realität des SSC und drücken den Kollegen gegenüber Wertschätzung aus. Das ist bei relativer Nähe des SSC natürlich eher möglich, worin ein deutlicher Vorteil eines SSC in Europa gegenüber einem auf anderen Kontinenten liegt.
- Verantwortung personalisieren: Die Zuordnung von Tutoren für Teilaspekte der zu verlagernden Tätigkeiten als Trainer und Ansprechpartner macht konkrete Erwartungen deutlich und reduziert die Hürde der Kollegen im SSC, Fragen und Probleme zeitnah zu adressieren. Die Auswahl der Tutoren ist sensibel: sie sollten möglichst Spaß an einer solchen Aufgabe und keine oder nur wenig Vorbehalte dagegen haben.
- Gemeinsame Ziele vereinbaren: Auf diese Weise wird deutlich demonstriert, dass der Ansatz der geteilten Verantwortung für den Prozess ernst gemeint ist:
- auf Teamebene: die Zielerreichung der einen Gruppe hängt von der anderen ab — in anderen Worten: die alte Abteilung hat ein Interesse daran, dass die neue Abteilung die definierten Ziele erreichen kann.
- auf Individualebene: die Leistung des Tutors wird als solche gesehen, als wichtig erachtet und gute Ergebnisse werden gewürdigt.
- Teamleiter für das SSC auswählen: Die Entsendung eines Expats aus dem "alten" Team für die Aufbauphase zahlt sich aus: kommunikativ und analytisch stark, prozessorientiert und kooperativ ist er das Hauptbindeglied zur Abteilung im Haupthaus und deren Manager. Das "fremde" SSC erhält dadurch ein vertrautes Gesicht, und die Zusammenarbeit wird leichter.
- Die Mitarbeiter eines SSC sind Teil einer virtuellen Gemeinschaft - die Regeln des Arbeitens in virtuellen interkulturellen Teams oder für die Leiter das Führen in der Matrixorganisation sind wichtige Grundlagen des Erfolgs.
Erwartungsmanagement
Darüber, ob die Verlagerung von Prozessen erfolgreich war, kann und wird es in der Organisation verschiedene Ansichten geben. Die (unausgesprochene?) Erwartung, dass mit einer Verlagerung ins SSC vieles schlechter laufen wird als bisher, ist nicht nur in der betroffenen Abteilung selbst, sondern auch bei internen Kunden, für die die verlagerten Tätigkeiten erbracht werden, nicht selten. Man erkennt selbst dort "Probleme nach der Verlagerung", wo gar nicht verlagert wurde…
Wie kann dem begegnet werden?
1. Innerhalb der AbteilungOb die Verlagerung faktisch erfolgreich läuft, kann gemessen werden. Dazu sollten folgende Fragen beantwortet werden:
- Definition der Prozesse: Sind die zu verlagernden Prozesse sauber definiert, standardisiert und dokumentiert
- Output pro Zeit: Ist die Bearbeitungszeit pro Prozess(schritt) realistisch definiert? Wieviele Schritte/Items sind bisher pro Tag/Monat bearbeitet worden? Was sind die diesbezüglichen Erwartungen pro Mitarbeiter im SSC?
- Lernkurve: Wieviel Items pro Monat erwarten wir nach welcher Einarbeitungszeit von den neuen Kollegen? Dass die Lernkurve erwartungsgemäß durchlaufen wird, könnte als Ziel mit dem entsprechenden Tutor vereinbart werden.
- Zeit pro Prozess(schritt): Wie lange soll es im Schnitt dauern, bis ein Prozess komplett durchlaufen wurde? Eine Überschreitung der Durchlaufzeit vom Eingang der Anforderung bis zum Abschluss des Vorgangs gibt Hinweise auf Schwierigkeiten und also für Verbesserungsansätze: Wenn bei gleichbleibendem Output pro Zeit der Gesamtprozess zu lange dauert, könnten
- Schnittstellen nicht reibungslos funktionieren oder
- Kapazitäten im SSC nicht ausreichend sein
Die Erhebung solcher Kennzahlen dient also zwei Zielen: Zum einen werden Vermutungen durch Fakten ersetzt und die Zielerreichung im Vergleich zum Plan transparent gemacht. Zum anderen werden Hindernisse zeitnah identifiziert und Verbesserungsmöglichkeiten können ausgeschöpft werden.2. In der Organisation
Auch hier unterstützt eine transparente Kommunikation zu Maßnahmen und Konsequenzen dabei, eine letztendlich positive Bewertung der Verlagerung bei den internen Kunden zu verankern:
- Welche Prozesse wurden verlagert?
- Welche Änderungen im Prozess sind vorgesehen?
- Welche Vor- und Nachteile ergeben sich daraus für die internen Kunden?
- Wie wird ihnen die Einstellung auf Veränderungen im Prozess erleichtert?
- Wer ist verantwortlich dafür, dass die berechtigten Ansprüche der internen Kunden erfüllt werden?
- Wer ist Ansprechpartner bei Problemen?
Wenn die verlagernde Abteilung die Verantwortung dafür, dass die erbrachte Dienstleistung nach wie vor mindestens auf gewohntem Niveau bleibt, bei sich selbst sieht, wird das viel zur Beruhigung der internen Kunden beitragen und ihr Vertrauen erhalten.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Verlagerung von Prozessen oder Prozessschritten in ein SSC für den umsetzungsverantwortlichen Manager eine große Herausforderung darstellt — ebenso wie für sein Team.
Sich der eigenen Ambivalenzen bewusst zu werden und dennoch eine positive Einstellung zu der Aufgabe zu entwickeln, zu kommunizieren und vorzuleben, ist der erste Schritt zum Erfolg. Das Projekt als gemeinsame Anstrengung von "alten" und "neuen" Kollegen zu erkennen und durch die beschriebenen Maßnahmen zu etablieren, ist der nächste.
Wenn dann noch Kennzahlen definiert und erhoben werden, um die Implementierung zu steuern und kontinuierlich zu verbessern, sowie Transparenz durch klare Kommunikation geschaffen wird, ist der Erfolg der Verlagerung greifbar nah.
Die Nachhaltigkeit dieses Erfolgs des SSC wird durch kontinuierliche weitere Wahrnehmung der Führungsrolle durch den verantwortlichen und verantwortungsbewussten Manager gewährleistet.
Frau Dr. Schilling ist unsere Expertin für das Thema "Shared Service Center (SSC) - Verlagerung von Prozessen". Sie hat als Managerin erfolgreich die Verlagerung umfassender Prozesse in einem DAX-Konzern verantwortet. Sie hat hautnah erlebt, was der Aufbau eines Shared Service Centers (SSC) bedeutet - für die damit verbundenen Managementfragen wie auch persönlich für die verantwortlichen Manager. Nutzen Sie ihre Erfahrung!