16.03.2018 - "Kein Chef sollte herumschreien" - Führungspersönlichkeit des Chefs im Fokus
Gibt es sie noch, die Schreihälse in Führungspositionen...?
"Kein Chef sollte herumschreien" lautet die Überschrift eines Artikels im Spiegel (Nr. 11/2018, S. 130 f.). Das Zitat stammt von der Schauspielerin Catrin Striebeck. Sie äußert sich aus aktuellem Anlass zu Männermacht im Theater und im Filmgeschäft.
Ich kann ihr nur uneingeschränkt zustimmen und mir gefällt, was sie sagt. Die Aussage gilt auch für das Management in Unternehmen. In vielen Unternehmen sind schreiende Chefs inzwischen selten, sie werden zurecht nicht mehr toleriert.
Vergessen sollten wir dabei jedoch nicht, dass es auch andere, versteckte Formen inakzeptabler Machtausübung gibt, die sich ebenfalls sehr negativ auswirken — was hier jedoch nicht weiter thematisiert werden soll. Zu begrüßen ist, dass die derzeitige Aufarbeitung von Machtmissbrauch in Hollywood am Set wie an Bühnen auch hier bei uns das Thema neu ins Bewusstsein ruft und Legitimation schafft.
Zurück zum brüllenden Chef. Ich denke an Fälle wie den Inhaber eines großen Unternehmens mit mehreren tausend Mitarbeitern, der selbst seine Geschäftsführer brüllend beleidigte — über Jahre hinweg, wie sie beklagten, und einmal in meiner Anwesenheit.
Oder an das Seminar zu Führungskommunikation bei einem Mittelständler. Dort kam von einem Abteilungsleiter die Frage, was ich von schreienden Chefs hielte. Sein Grinsen beinhaltete schon die Anspielung, er meinte den nicht anwesenden Geschäftsführer, was er aber nicht offenbaren wollte (oft leiden die Unterstellten und haben Angst, das Thema offensiv anzusprechen).
Im ersten Fall schrieb ich dem Inhaber nach der Begebenheit einen Brief, in dem ich die Situation mit klaren Worten thematisierte und ankündigte, im Wiederholungsfalle die Veranstaltung sofort zu verlassen, ihn nur unterstützen zu wollen, wenn er sein Verhalten zukünftig im Griff hielte. Es gab über 2 weitere Jahre häufigen Kontakts keine Wiederholung.
Im zweiten Fall machte ich klar, was ich von Chefs erwarte und dass Schreien in einer Führungsrolle inakzeptabel ist, wenn es denn nun ausnahmsweise mal geschehe, eine Entschuldigung erfordere. Die Botschaft erreichte den Geschäftsführer nach dem Seminar, der sehr verschnupft reagierte, obwohl er selbst nicht direkt adressiert war.
Nun, der erste Fall macht deutlich — und ich kenne ähnliche Fälle — dass man sein Verhalten durchaus kontrollieren und beeinflussen kann (zumindest die meisten Menschen). Und dies ist von Menschen in Führungsrollen auch zu erwarten.
Was tun? Das fragen sich vor allem betroffene Mitarbeiter brüllender Chefs.
Es fängt wie meist bei einem selbst an. Striebeck im Interview: "Es gibt .... Regisseurinnen und Regisseure, die für das Heruntermachen Einzelner bekannt sind. Mit denen will ich nicht arbeiten, weil ich so nicht behandelt werden will. Ich will auch nicht danebenstehen, wenn andere so behandelt werden. Manchmal entsteht im Probenraum diese Feigheit, dass man nicht aufsteht für den anderen."
Das ist die Haltung, die es braucht, auf den Punkt gebracht! Mach nicht mit und nimm Einfluss! Denn für die Kultur im Unternehmen, in der Abteilung, sind alle verantwortlich.
Als Vorgesetzter von Führungskräften kommt die Pflicht zum Handeln dazu, wenn unterstellte Chefs zum Schreien neigen. Sonst ist man selbst angreifbar bis hin zur — selten praktizierten — Abmahnung wegen Unterlassung.
Als Kollege/Kollegin kann man den Chef nach der Situation ansprechen und ihm sagen, dass man das nicht in Ordnung findet, wie er den Kollegen — oder alle in der Runde — anbrüllt. Habe ich vor vielen Jahren bei der Bundeswehr einem General gegenüber gemacht. Der übrigens das Format hatte, mich ein paar Tage danach in positiver Weise darauf anzusprechen.
Es gibt schwierigere Fälle, wo Mitarbeiter begründet kein Vertrauen haben, dass der Chef angemessen mit der Rückmeldung umgeht. Bleibt die Frage, was will ich ertragen und warum?
Besonders auch im komplexen und interkulturell geprägten Umfeld größerer Unternehmen richten solche Verhaltensweisen immer wieder erheblichen Schaden an. Dort wird es nach meiner Einschätzung deshalb manchmal sogar eher problematisiert. Ich habe im Umfeld globaler Matrixorganisationen wiederholt die Ablösung von Vorgesetzten erlebt, die mit Gebrüll auf Wirkung setzten und interkulturelle Verwerfungen auslösten.
Und es gibt doch Coaching! Ja. Doch dazu muss der Coachee selbst diese bearbeitungsbedürftige Schwachstelle ansprechen. Oder sein Chef, wenn dieser Auftraggeber für das Coaching ist. Das habe ich ein paar Mal erlebt bislang, dann wurde das auch systematisch bearbeitet.
In wenigen anderen Fällen habe ich durch eigene Beobachtung in einem Changeprozess das Verhalten zum Thema machen können. In einem Fall klagten mehrere Teamleiter über das unbeherrschte Verhalten ihres Chefs. Als ich diesen in einem Abstimmungsgespräch damit konfrontierte und ihm deutlich machte, dass doch etliche Mitarbeiter geradezu Angst vor ihm haben und ihn frug, wie er denn dazu stehe — da kamen ihm die Tränen und der Hinweis, das sei durchaus auch in der Familie ein Thema.
Das mündete in einen Coachingprozess, in dem sein persönliches Führungsverhalten im Fokus stand. Und er schaffte es, sein Verhalten deutlich zu ändern. Das ist meine Erfahrung: Wenn es unmissverständlich angesprochen ist, wird es durchaus verhaltenspsychologisch im Coaching bearbeitbar.
Schreien, Brüllen im Führungsprozess hat unterschiedliche Hintergründe und Ursprungsmotive. Manchmal ist es kopiertes Verhalten, das im beruflichen Sozialisierungsprozess gelernt wurde. Manchmal ist es der Glaube oder die Erfahrung, so zum Ziel zu kommen, oft Angstgebrüll aber auch Aggression aus Anspannung und manchmal, leider, einfach eine tiefsitzende Abwertung anderer. Und gelegentlich ist dem schreienden Vorgesetzten tatsächlich und glaubhaft nicht bewusst, wie laut er wird und was dies bei anderen auslöst.
Nichts davon rechtfertigt das Verhalten. Die Entwicklung der Führungspersönlichkeit als Thema der Führungskräfteentwicklung sollte auch auf diesen Aspekt ein Auge werfen. Es geht um Macht und eine unangemessene Form, diese auszuüben.