05.01.2018 -
Interkulturelle Kommunikation - Anmerkung von Watzlawick zur Sozialisation
high und low context Kommunikation
Es macht mir immer wieder Spaß, in alten Klassikern zu schmökern, auch der Fachliteratur. So stieß ich aktuell im Buch "Lösungen" von Paul Watzlawick auf eine Stelle, die mir einen interessanten Hintergrund aufweist zur Diskussion um high und low context communicators, einem Begriff der interkulturellen Kommunikationsforschung.
Der Unterschied zwischen High- und Low-Kontext Kulturen ist in unseren Veranstaltungen zu interkultureller Kompetenz eines der vermittelten Grundmodelle. Es dient der Sensibilisierung von interkulturell agierenden Führungskräften und Experten im Kommunikationsverhalten.
High oder low context Kulturmerkmale werden durch kulturell geprägte Sozialisation erworben. Sie bestimmt, was wir als Angehörige einer Kultur in der Begegnung mit anderen Menschen als angemessen oder unangemessen erleben.
Watzlawick bzw. die Autoren1) sagen:
"Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass ein großer Teil des Sozialisierungsprozesses eines Kindes darin liegt, ihm beizubringen, was es nicht sehen, nicht hören, denken, fühlen oder sagen darf. Ohne sehr klare Regeln dafür, was außerbewusst bleiben muss, wäre soziale Ordnung genauso unmöglich wie in einer Gesellschaft, die es unterließe, ihren Mitgliedern zu lehren, wessen sie bewusst sein und worüber sie kommunizieren dürfen."
Das ist sehr erhellend für das Verständnis der Unterschiede interkultureller Kommunikation. Im interkulturellen Kontakt ist dies eine Quelle von Missverständnissen, v.a. für jene, die dafür nicht sensibilisiert sind. Denn verschiedene Kulturen haben teils deutlich unterschiedliche Erwartungen.
Watzlawick macht zu o.g. Zitat eine Anmerkung, die ebenfalls sehr interessant ist: "Die Tatsache, dass ein Großteil aller menschlichen Kommunikation sich sozusagen stillschweigend, das heißt durch die Abwesenheit von Kommunikation, abwickelt, wird heutzutage in zunehmendem Maße von jenen terribles simplificateurs übersehen, die sich enthusiastisch der zunehmenden Vulgarisierung von Kommunikationsforschung und -praxis angeschlossen haben und Gruppen- und Familientherapie, "Marathonsitzungen", Selbsterfahrungsgruppen und Sensitivitätstraining auf der Basis der problemerzeugenden Annahme betreiben, dass "gute" Kommunikation klar, offen, ehrlich und direkt - in einem Worte: total - zu sein habe. Statt damit aber totale Kommunikation herzustellen, ist das Ergebnis ihrer Bemühungen bestenfalls totalitär."
Die Autoren bezogen das auf Kommunikationsverhalten allgemein. Zugleich gibt es aber bzgl. der Aspekte Offenheit und direktes Feedback auch große Unterschiede zwischen verschiedenen Kulturen.
Kaum jemand hat die Kommunikationspsychologie und damit auch die Management-kommunikation so stark geprägt wie Paul Watzlawick. Ich denke gerne an die Begegnungen mit ihm in Palo Alto zurück.
1)Paul Watzlawick, John H. Weakland, Richard Fisch: Lösungen, Bern, Stuttgart, Wien 19843, S. 62